Roman, ca. 830 Seiten
1. Band der Legenden der Kriegerin Mlonguale
EXPOSEE
Wie fühlt es sich an, wenn man seiner Kultur beraubt wird? Wie wäre es, wenn
Sie Ihre toten Eltern nicht mehr begraben dürften?
Kolonisten versklaven um 1800 die Eingeborenen einer Tropeninsel, die Namiba.
Deren Königin erzieht ihre Tochter Mlonguale heimlich zur Kriegerin.
Die Königin glaubt, ihr Volk habe seine Kampfeskraft dadurch verloren, daß es
sich zur Abkehr von der Sitte des Menschenessens bekehren ließ; so konnte es
letztlich versklavt werden. Denn indem sie die Seelen ihrer Verstorbenen und
ihrer Feinde in sich aufnahmen, vergrößerten die Namiba früher ihre Kraft.
Die Königin bestimmt Mlonguale dazu, aus der Sklaverei zu fliehen und ihr Volk
zum Kannibalismus zurückzuführen. Mlonguale sammelt Freunde um sich, doch
nicht alle Namiba stimmen der Rückkehr der alten Bräuche zu. Manche haben
sich abgefunden, andere fürchten die Strafe der Sklavenhalter.
Mlonguale überfüllt ein Gefängnis und dann ein Verwaltungsgebäude. Ihre
Angriffe auf die Kolonisten steigern sich. Im letzten Kampf tötet sie den
Gouverneur und legt Feuer an seinen Palast.
Als der Palast niederbrennt, erkennen die Namiba, daß die Sklavenhalter nicht
unbesiegbar sind. Mehr und mehr Namiba schließen sich den alten Bräuchen an.
LESEPROBE
1. Der Topf und das Feuer
Die Heldin, die ihr als Mlonguale kennt, wuchs auf unter dem Namen Tombala.
In der Sprache der Leute dort bedeutet Tombala Leben. Ihre Mutter, die
Häuptlingin Ngoa Mundolu, hatte ihr diesen hoffnungsvollen Namen gegeben –
in jener Nacht, als sie das von der Geburt noch blutverschmierte Mädchen als
Kind annahm und die Schlacht gegen die Hellhäute endgültig verloren war.
Monde um Monde waren seitdem vergangen, und Tombala wuchs bis zum
Gürtel ihrer Mutter heran. Nun lebten sie unter den Sklaven des alten Bram
Langor, auf Plantagen am Oberlauf des Tsiangi, einige Tagesreisen von der
Gouverneursstadt Tocamesca entfernt.
Diejenigen unter euch, welche aus dieser Gegend stammen, werden wissen,
daß dort noch heute Zuckerrohr und Baumwolle angebaut werden, auch wenn
der Dschungel jetzt das meiste Land zurückerobert hat. Früher aber drängten
die Plantagen bis zu den Ausläufern der erloschenen Vulkane, und im Süden
grenzten sie an einen Nebenarm des Tsiangi, der sich zwischen
moosbewachsenen Guaven und Mangroven hindurchschlängelte, Flechten
hingen von den Bäumen wie dichte Vorhänge.
Gegen Abend pflegte sich rotes Licht über die Plantagen zu decken. Flughunde
segelten von den Mangroven herüber und jagten Käfer, welche von den Sklaven
beim Schlagen des Zuckerrohrs aufgescheucht wurden. – So war es auch an
jenem Abend, an dem Tombala geweiht werden sollte.
Tombalas Mutter Ngoa Mundolu, eine stattliche Frau mit zum Knoten
gebundenen Haaren, kniete am Rande des Zuckerrohrfeldes. Ihre Haut und all
ihr Schmuck schimmerten im Abendlicht. Mit hocherhobenem Kopf blickte sie zu
dem Topf des neugeborenen Mondes hin, der zwischen den wogenden Blättern
hindurchschien. Ihre Finger tasteten nach dem bucaj-Messer, das sie unter
ihrem Bastrock verbarg, und sie fühlte sich mit freudiger Unruhe erfüllt – so,
wie die Oberfläche des Kochwassers zittert, bevor es zu schäumen beginnt.
Monde über Monde hatte dieses Messer voller Ungeduld gewartet, doch heute
ließ die Häuptlingin alle Vorsicht außer Acht und trug es bei sich, um es für das
Ritual bereit zu machen. »Ntambi cani bane!« flüsterte sie ihm zu, und ihre
Fingerspitzen strichen über die Steine, welche den Griff schmückten. »Sei mir
dienlich, Messer, meine Tochter zu leiten! Tombala tapa cani bane!«
Nicht einmal der Zauberer Pupule hatte vorhergesehen, daß die Götter Tombala
schon als Kind erwählen würden. Selbst als die Zeichen mehr wurden und
immer mehr, hatte er sich zunächst noch heftig dagegen ausgesprochen,
Tombala so früh zu weihen. Dies sei eine zu große Last für die kleine
Kinderseele, sagte er.
Doch das Gewicht der Zeichen wog schwerer. Die Zeit für das Ritual sei
gekommen, hatte die Häuptlingin Ngoa Mundolu gesagt. Und damit war es
beschlossen.
Hinter ihr klapperten jetzt Zuckerrohrstangen, und sie wandte den Kopf. Wenige
Schritte entfernt sammelte Tombala Stangen auf, die dicker waren als ihre
kleinen Arme, und schließlich türmte sich der Haufen in Tombalas Armen so
hoch, daß sie kaum darüber hinwegschauen konnte. Blätter und Faserreste
bedeckten den Weg zwischen den Feldern und sie hob die Füße hoch an,
während sie zu einem zweirädrigen, halbvoll mit Stangen beladenen Karren
stapfte.
Wie kräftig das Mädchen schon war! So schnell war Tombala ein Mensch
geworden; bereits wenige Monde nach ihrer Geburt hatte sie sich an einem
großen Tonkrug aufgerichtet. Sie war abgerutscht und auf den nackten Po
geplumpst, doch gleich hatte sie sich ein zweites Mal daran hochgezogen. Und
diesmal stand sie fest und hob strahlend ein Ärmchen, als würde sie winken.
Dann ließ sie auch das andere Ärmchen los und tapste mit zwei, drei, gar vier
wackeligen Schritten in Ngoa Mundolus offene Arme.
Viel früher auch als andere Kinder hatte Tombala zu sprechen begonnen. Ihre
kleine Hand war schneller, ihr Blick schärfer, und selbst das Lachen in ihren
tiefen, braunen Augen strahlte heller. Ja, die Götter hatten Tombala reich
beschenkt, und ihre Bestimmung hatte sich so unweigerlich entfaltet, wie die
prächtige topenga-Blüte sich im Morgenlicht aufrichtet.
Jetzt sah Ngoa Mundolu ihrer kleinen Tochter dabei zu, wie diese die
klappernden Stangen auf den Karren hochwuchtete. Eine Welle warmen Stolzes
überspülte sie, und sie dachte: Dies ist die Heldin, die unser Volk in die Freiheit
führen wird!
Ihr Blick schweifte zu Racken, einem der hellhäutigen Wächter. Er saß mit tief in
die Stirn gezogenem Schlapphut im langen Schatten eines Mangobaumes, sein
schreckliches Gewehr zwischen den Knien. So viele Monde ist dieses Kind nun
bereits unter euch, dachte Ngoa Mundolu und benetzte mit der Zunge die
Lippen. Und ihr wißt immer noch nicht, wer sie ist.